Am 26. September ist Bundestagswahl. Viele Menschen haben bereits gewählt, mindestens so viele sind noch unentschlossen. Soweit sich Wahlergebnisse heute prognostizieren lassen, ist mit einer Koalition von drei Parteien zu rechnen und damit einer breiten Basis für Ideen und Lösungen. Klima und Wirtschaft und die Frage der sozialen Bewältigung des notwendigen Wandels dominieren die Wahlkampfdiskussionen. Außen- und Sicherheitspolitik, Migration, die Zukunft der EU, die Ziele von Entwicklungshilfe und Friedenskonsolidierung wie auch die Zukunft der UN werden nur schlagwortartig und ohne sichtbare strategische Ansätze diskutiert. Dabei gibt es ein Thema, das alle diese Gebiete bei der Analyse der Situation und der Entwicklung von Lösungen strategisch verbindet: Menschenrechte.
Die Suche nach dem Begriff in den Parteiprogrammen ist nicht sehr ergiebig. Die Antworten auf Fragen von Nichtregierungsorganisationen zur Bundestagswahl bleiben vage. Sicherlich ist dies kein eindeutiger Nachweis für die Rolle der Menschenrechte in der Arbeit der Parteien – teilweise scheinen sie zumindest unbewusst mitgedacht zu werden. Äußerung der Spitzenkandidat*innen widerlegen diesen Eindruck aber auch nicht gerade. Internationale Menschenrechte sind in Deutschland ein Nieschenthema für eine begrenzte Zahl von Expert*innen und Aktivist*innen, geeignet höchstens für politische Grundsatzreden oder moralische Argumentationen. Trotz der erstaunlichen Zunahme des normativen Rahmens auf internationaler und regionaler Ebene und der immer aktiveren internationalen Bewegung zu ihrer Beobachtung und Umsetzung, verharrt die Politik in Deutschland auf der allgemein anerkannten Position, mit den Grundrechten den höchsten internationalen Anforderungen bereits zu genügen. Dass dies nicht mehr der Fall ist haben verschiedene Empfehlungen der UN nach Staatenberichten oder Besuchen von Sonderberichterstattern gezeigt und mehrere Unternehmen mit Aktivitäten im Ausland durch Gerichtsprozesse oder Medienkampagnen erfahren. Auch die politische Diskussion wichtiger gesellschaftlicher Themen bleibt von den internationalen Entwicklungen unberührt und wirkt provinziell und rückschrittlich. Die neue Bundesregierung muss im Menschenrechtsbereich dringend an verschiedenen Stellen nachbessern und sich der internationalen Diskussion öffnen, wollen wir nicht riskieren, dass Menschenrechte als inzwischen fester Bestandteil der internationalen Nachhaltigkeitsdiskussion vernachlässigt und zum Wettbewerbsnachteil werden.
Die neue Bundesregierung braucht die Integration internationaler Menschenrechte und ihrer sich dynamisch entwickelnden Interpretation in alle Politikbereiche. Dies wird mittelfristig auch die Position deutscher Unternehmen im In- und Ausland stärken und Wettbewerbsverzerrungen durch Nachhaltigkeitsstandards beseitigen.
In der Außen, Sicherheits- und Entwicklungspolitik überschätzt Deutschland häufig seine moralische Position und unterschätzt die Wirkung seines wirtschaftlichen Einflusses. Weil sich die Gesellschaft überwiegend als Opfer von Kommunismus, Nazionalsozialismus und anderer politischer Regime begreift, verkennen wir die Sichtweise von außen, nach der sich historische Konstanten durch unsere Geschichte ziehen, insbesondere die planmäßige Tötung von Hereros, Armeniern, Juden und anderen Minderheiten. Wir sind ein Volk von Tätern, dem zugute gehalten wird, dass es seine Lehren aus der Geschichte in starke Institutionen einer stabilen Demokratie übersetzt hat. Die Stabilität dieser Entwicklung wird aber an Taten gemessen, insbesondere proportional der wirtschaftlichen Kraft Deutschlands. Daran knüpfen sich Erwartungen, die Erkenntnisse aus der historischen Schuld, innerhalb auch außerhalb der Landesgrenzen, messbar politisch umzusetzen. Betrachtet man die riesigen Summen, die etwa in Jordanien oder nun in Afghanistan zur Verfügung gestellt werden, um letztlich die Migration von Flüchtlingen nach Europa zu verhindern, verdeutlicht dies eine mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für die Einhaltung internationaler Menschenrechte und rechtstaatliche Grundsätze zu übernehmen und eine nach Innen gerichtete Außen- und Sicherheitspolitik. Ein klares Eintreten für Menschenrechte, auch innerhalb der EU, würde Deutschland hier den Weg zu internationalem Einfluss auf der Grundlage seiner historischer Verantwortung weisen. Ein abstrakter Menschenrechtsdialog zwischen Regierungen oder die Forderungen nach Sanktionen gegen wirtschaftlich unbedeutende Staaten wegen Menschenrechtsverletzungen ist Symbolpolitik. Dabei kann sich der Staat nicht hinter der EU Menschenrechtspolitik verstecken, sondern muss eigene Positionen partizipatorisch entwickeln, sichtbar vertreten und höhere Standards allein umsetzen. Dies wirkt gegen Systemmüdigkeit und Europaverdrossenheit und bedeutet Führung unter Gleichberechtigten.
Die Vernachlässigung von Menschenrechtsstandards in der nationalen Politik entlastet Unternehmen und staatliche Institutionen nur kurzfristig und verkennt den Einfluss weltweiter Bewegungen und die Reputationsschäden, die für Politik und Unternehmen eintreten, wenn Staaten nationale Gesetze entwickeln und Unternehmen Gesetze anwenden, die internationalen Standards nicht entsprechen. Dies ist keine Frage mehr von rechtlicher Verbindlichkeit des einen oder anderen internationalen Instruments. Dies ist eine Frage der generellen Menschenrechtsstrategie der neuen Bundesregierung, die entweder Wirtschaft und Gesellschaft schützt indem sie präventiv Entwicklungen führt oder unkalkulierbare Nachteile in Kauf nimmt, indem sie internationale lessons-learnt mühsam nachvollzieht. Erst die notwendige politische Gewichtung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen erlaubt die angemessene Berücksichtigung von Fragen des Klimaschutzes, der Migration, der Verteilungsgerechtigkeit und der Partizipation in demokratischen Entscheidungsprozessen in politischen Strategien. Die Integration von Menschenrechten bedeuten eine Auseinandersetzung um die bestmögliche Lösung für die verschiedenen Interessen unter systematischer Einbeziehung aller Beteiligten. Dies bringt Stabilität und Vorhersehbarkeit in einen unsicheren Wandel. Konkrete Elemente sind eine verpflichtende Menschenrechtsfolgenabschätzung für Gesetze und Reformprogramme auf der Grundlage der Richtlinien des Unabhängigen Experten der UN für Menschenrechte und Auslandsverschuldung. Die z.Zt. diskutierte Reform der Richtlinien für Unternehmen und Menschenrechte und eine mögliche Konvention sollten in allen wirtschaftlichen Förderprogrammen umgesetzt werden. Ein Verbot der Einfuhr und des Verkaufs von Produkten, die unter der Verletzung von Menschenrechten hergestellt oder vertrieben werden. Unterstützung von Unternehmen bei der Umstellung von Produktion und Vertrieb auf Produkte und Leistung, die internationale Menschenrechtsverpflichtungen respektieren. Auslandsengagement auf Prävention und Stabilisierung durch strategische Konzepte thematisch beschränken und nachhaltig finanzieren.
Wähler*innen sollten sich fragen, wem sie diese notwendige Änderung nach der Wahl am Ehesten zutrauen und sich dafür einsetzen, dass dieser Wandel in den Koalitionsverhandllungen auch eine Rolle spielt. Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Industrie- und Handelskammern und andere Interessengruppen sollten von den Parteien umfassende Menschenrechtsstrategien mit konkreten Maßnahmen fordern und ihre Umsetzung durch die neue Bundesregierung an integrierten Erfolgskriterien messen. human rights. better solutions.